"Freiheit" und "Verantwortung" beim frühen Jean-Paul Sartre
Februar 1988
Aus der Einleitung (gekürzt):
Zeitlebens hat Sartre die Prävalenz des individuellen Bewußtseins als
Ausgangspunkt jeglichen Denkens verteidigt. Dabei geht es zunächst
um die simple Tatsache, daß es ohne sprechendes, sprich bewußtes
Subjekt als sinnrealisierende Instanz keine Aussage über die Welt
gibt, daß diese Instanz immer in Gestalt des konkreten lebenden
Einzelmenschen erscheint und daß ohne sie und ihr Wort das Sein im
Nichts zeitloser Vergessenheit versinkt. [ ... ]
Das Motiv [ ... ] zielt also auf die bestmögliche Verwirklichung des
Individuums. Der moralphilosophische und damit auf die Praxis des
Menschen bezogene Antrieb bildet die durchgängige und umfassende
Nomenklatur fast aller seiner Arbeiten [ ... ].
Philosophische Erkenntnis als Mittel, das richtige Handeln des
Menschen in seinen konkreten Lebensbezügen, denen einer
(mit)menschlichen Welt, zu bestimmen, heißt: Theorie kann ihre
einzig sinnvolle Erfüllung darin finden, Theorie ZUR Praxis zu sein.
Die Kunst richtigen Denkens ist die Voraussetzung für die Kunst
eines richtigen Lebens und findet darin ihr einzig würdiges Ziel
und ihren Zweck. Soll die Frage nach der Wahrheit für den Menschen
einen Wert darstellen, so muß sie ineinsgehen mit der Frage nach
seinem Guten. Diese Sichtweise der Philosophie hat die griechische
und römische Stoa in einer Periode kulturellen Zerfalls formuliert.
Sartre hat sie - ebenfalls in einer Periode der Zerstörung - wieder
aufgegriffen, wenn er zeigen wollte, "daß der Mensch auch einen
Wert darstellt und daß die Fragen, die er sich stellt, immer
moralisch sind."
[ ... ]
Eine Philosophie, die sich als Moral versteht, [ ... ] formiert
sich um die Freiheit als das Herz ihrer selbst. [ ... ] Sartre
unternahm den Versuch ihrer Begründung aus einem konkreten und
praktischen Evidenzkriterium heraus auf dem Boden der philosophischen
Errungenschaften des frühen 20. Jahrhunderts, auf dem von
Phänomenologie und Ontologie.
[ ... ]
Neben den unumgänglichen Aufrissen der Gedankenführungen Sartres
soll in der vorliegenden Arbeit insbesondere herausgestellt werden,
daß die Strenge des von ihm innerhalb des abgesteckten Rahmens
entwickelten Freiheitsbegriffs in ihrer auffälligen Asymmetrie zu
einer lapidar abgehandelten Verantwortung in wesentlichen Punkten
auf die Konzeption einer INNEREN FREIHEIT DER HALTUNG und des
persönlichen Heils hinausläuft, wie sie in der Antike schon die stoische
Philosophie vertreten hatte. Das entspricht seiner eigenen späteren
Selbsteinschätzung und ist vom gleichen - moralischen - Motiv des
Philosophierens beseelt wie die Stoa.
daß diese Haltung durch die inneren strukturellen Vorgaben der
"Existenz" im wesentlichen eine Haltung des SPIELS und der IRONIE
als das ihr angemessene Verhältnis zur Welt konstituiert. Auch
das wird vom impliziten Stoizismus Sartres abgedeckt, vorrangig
daran ist ihre entlastende Funktion angesichts einer
unbeschränkten verlassenen Freiheit unter der Last einer ebenso
umfassenden Verantwortlichkeit. Das Etikett einer pessimistischen
Position, das dem Existentialismus angehängt wurde, erscheint
damit, wenn nicht als hinfällig, so doch zumindest als
unangemessen.
daß die beiden voraufgenannten Auffassungen ihren Grund finden
in einer ursprünglich und als Ambiguität zu verstehenden PARADOXEN
Disposition der menschlichen Existenz. Von ihr aus zeigen sich
Freiheit und Verantwortung als eine immer zu lösende Aufgabe, als das
PROBLEM der Moralität. Der Existentialismus stellt sich damit
jenseits von Pessimismus und Optimismus, was vielmehr zu einer
Frage der Perspektive im Sinne Nietzsches wird. Es wird eine Frage
der individuellen Auslegung oder des Gebrauchs, den man von ihm
macht ...
[
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